Seegraswiesen als natürliche Wellendämpfer
Ökosystemen wie Seegraswiesen haben eine hohe Bedeutung für die Stabilisierung unserer Küstenlinie. Dass die Ökosysteme unsere Küsten stabilisieren, war bereits im Mittelalter bekannt, jedoch blieb ihr quantitativer Beitrag zum Küstenschutz lange Zeit unklar. Angesichts dessen konzentriert sich die aktuelle Forschung auf die Quantifizierung der Wirksamkeit der Ökosysteme und deren Integration in die aktuellen Normen und Standards für den Küstenschutz.
Wissenschaftliche Erkenntnisse: Das Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen (LuFI) an der Leibniz Universität Hannover hat herausgefunden, dass Seegraswiesen über eine Länge von 40–50 Metern die Wellenhöhe um etwa 10 % reduzieren können. Die Seegraswiesen fangen die Energie bereits im Vorfeld ab, wodurch die Belastung z.B. eines Deichs reduziert wird. Seegraswiesen als natürlichen Barrieren ergänzen somit die klassischen Deiche und ermöglichen es, diese niedriger zu bauen, was sowohl ökologisch als auch ökonomisch vorteilhaft ist. Es geht hier also nicht um die Substitution, sondern um die Komplementarität unserer Systeme. Neben dem Küstenschutz bieten Seegraswiesen weitere Vorteile wie die Bindung von CO₂, als sogenanntes „Blue Carbon“ , was zehnmal effektiver ist als bei einem tropischen Regenwald. Seegras hat zusätzlich die Fähigkeit, Sedimente zu binden, die an den Halmen absinken und am Grund gebunden werden und zum Aufwuchs von Küsten beitragen. Das ist auch von Vorteil für Hafenbetreiber, die Schlick im Hafen fürchten.
Nachhaltige Küstenentwicklung: Durch den Einsatz von innovativen Technologien und Planungsansätzen können Küsteningenieure dazu beitragen, den ökologischen Wert der Küstenlandschaft zu erhalten und gleichzeitig die Anforderungen an die Infrastruktur zu erfüllen. Und das muss schnell geschehen. „Wir hätten gestern anfangen sollen“, so Schlurmann, um die Dringlichkeit der Maßnahmen zu unterstreichen. Angesichts des steigenden Meeresspiegels und häufiger werdender Sturmfluten ist es entscheidend, in diese Low-Regret-Maßnahmen zu investieren.
Gesellschaftliche Sensibilisierung: „Damit das funktioniert, muss die Gesellschaft stärker sensibilisiert werden“, betont Prof. Schlurmann, geschäftsführender Direktor des LuFI. Er unterstreicht den dringenden Bedarf an einer verstärkten Dynamik in den Ingenieurwissenschaften, um sicherzustellen, dass wir einen signifikanten Beitrag zu Lösungen leisten. Dafür benötigen wir eine ressortübergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit, „weil es eine Vielfalt von Expertise braucht, um überhaupt so etwas zu beantworten“. Dieser Beitrag muss transparent dokumentiert und nach außen kommuniziert werden, wobei die HTG eine bedeutende Rolle spielt. Er appelliert besonders an junge Menschen, aktiv zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen für den Küstenschutz beizutragen. „Es gibt so viele Möglichkeiten. Bau- und Umweltingenieur:innen bauen nicht nur Brücken, sondern ganze Ökosysteme“, ermutigt Prof. Schlurmann junge Fachleute und Studierende, ihren Beitrag zu leisten.
Quelle: Prof. Dr.-Ing. Torsten Schlurmann